Kaum etwas auf dieser Welt funktioniert so zuverlässig wie innerfamiliäre Animositäten. Ja, auch professionelle Dominas haben Familie und nein, das ist nicht immer schön. Meine Eltern reden noch mit mir, vermeiden „das Thema“ aber um jeden Preis. Ich kann sogar zu hohen Feiertagen meine Geliebte mitbringen. Allerdings tun sie dann sehr bemüht so, als sei sie einfach eine enge Freundin. Sie haben es im letzten Jahr sogar fertiggebracht sie zu fragen, ob sie nicht vielleicht mal wieder einen netten Mann kennengelernt hätte. Hatte sie nicht. Schweigen.
Ganz anders mein Bruder. Er verabscheut sowohl meinen Beruf als auch meine Beziehung und läßt die Welt das nur zu gerne wissen. Dabei bin ich mir sicher, daß er insgeheim sehr froh über meine Entscheidungen ist, denn so kann er bequem auf dem hohen Roß sitzen und bei jeder Gelegenheit moralinsaure Predigten schwingen. Vor allem aber lenkt das bei Bedarf zuverlässig von seinen eigenen Fehlern ab und erhält ihm den Status „das gute Kind“.
Denn natürlich ist bei ihm nicht alles so schön, wie er es redet. Seine Frau hat ihn verlassen, nachdem er die fünfte Sprechstundenhilfe auf der Untersuchungsliege rangenommen hat. Seither sitzt sie zuhause, verfettet und findet immer neue Wege, ihm das Geld aus der Tasche zu ziehen. Seine beiden dicken blonden Kinder, mit denen ich des schlechten Einflusses wegen natürlich nur unter Aufsicht reden darf, sind in jeder Hinsicht ein Produkt ihrer Umwelt.
Er sitzt derweil in seiner Praxis, raucht Kette und erzählt seinen kurzatmigen Patienten, sie sollten eben das einstellen und mehr Sport treiben. Das macht er schließlich auch, wenn er mit dem Golfwägelchen von Loch zu Loch eilt und sich anschließend gepflegt mit seinen rotarischen Freunden vollaufen läßt.
All das animiert ihn zu immer neuen Tiraden gegen mich. Als ich heute anrief, um dem älteren der beiden Sprößlinge zum Geburtstag zu gratulieren, jammerte er wieder, wie knapp das Geld sei. Und wie hart er dafür arbeiten müsse, was ich natürlich nicht verstehen kann, weil ich ja keinen anständigen Beruf ergriffen habe, bei dem man Verantwortung übernimmt für den Patienten und die Mitarbeiter und die Familie. Stimmt natürlich, denn ich ficke meine Mitarbeiterinnen normalerweise nicht, was sicher sehr verantwortungslos ist.
Normalerweise ignoriere ich so was, aber heute war ein trüber, verregneter Tag, an dem natürlich kein Kunde freiwillig das Haus verlassen wollte und ich war extrem übellaunig. Als wir an den Punkt kamen, an dem er seine ehrenwerte Arbeit mit meiner gesellschaftszersetzenden Tätigkeit verglich, sagte ich nur: „Ich weiß gar nicht was du hast, Bruderherz, so weit liegen unsere Berufe doch gar nicht auseinander. Nur daß deine rektalen Untersuchungen andere Ergebnisse bringen als meine.“
Tuuut. Aufgelegt. Sollte ich häufiger machen.